Kommentar: Medienkritik – Warum ich Christian Linders Bäcker-Anekdote nicht rassistisch finde

Dieser Post spiegelt einzig und allein die Aussage des Autors wieder und ist als journalistischer Kommentar zu verstehen.

Ich bin weiß Gott, kein großer Fan von Christian Lindner oder der FDP. Die allgegenwärtige wirtschaftswissenschaftliche Sicht auf die Welt, abseits aller humboldschen Humanismusprinzipien, die Leben, Schicksale und Träume auf kalte, nüchterne Zahlen reduziert, läuft mir zutiefst zuwider.
Aber wer Christian Linder nach seiner Anekdote Rassismus vorwirft, ist vielleicht nicht hysterisch, aber hat seine Aussage nicht richtig verstanden.

Was er gesagt hat: "Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und noch nur gebrochen deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen, rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik."

Im Anschluss und nach dem öffentlich wirksamen Partei-Rücktritt des FDP-Politikers Chris Payk hat Christian Lindner in einem Twitter- Video erklärt, wie das Statement gemeint war.  Dabei appelliert er bei Diskussionen um Integration und Rassismus zu Nüchternheit und Sachlichkeit. Und wenn die FDP und Christian Linder was können, dann das: kühle, distanzierte Sachlichkeit.

Die Reaktionen 

Und schnell gab es auch die ersten Reaktionen in den Medien. Ein handwerklich guter Kommentar, der argumentiert warum Christian Lindner Aussage rassistisch interpretiert werden könnte gibt's zum Beispiel bei Spiegel Online. Der Autor erkennt zwar an, das Lindner eigentlich dafür sorgen möchte, dass "nützliche Menschen unlindnerscher Hautfarbe nicht unter Diskriminierung zu leiden haben", wirft ihm aber vor in den Sumpf von Alltagsrassismus gestolpert zu sein. Seiner Meinung nach hätte Lindner klarstellen sollen, dass man keine Angst vor jemandem haben muss der Brötchen in einer anderen Sprache bestellt und das Hautfarbe, Sprachkenntnisse und Aufenthaltsstatus nichts über die "Rechtschaffenheit" eines Menschen aussagen. Ein wenig trotzig echauffiert sich der Autor außerdem und erklärt, dass sich Bäckereibesucher*Innen auch nicht um den Aufenthaltsstatus anderer Anwesender zu scheren haben.

Ängste ernst nehmen

Und Stefan Kuzmany hat Recht. In allen drei Punkten. Es sollte egal sein, welche Hautfarbe der Mensch vor mir in der Schlange hat. Weder Hautfarbe, Sprache oder Aufenthaltsstatus sagen etwas über die "Rechtschaffenheit" eines Menschen aus. Und eigentlich sollte jedem auch der Aufenthaltsstatus von einem Menschen egal sein. Ich persönlich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Kein Mensch ist illegal. Niemand der flieht, sollte Angst um eine Abschiebung haben.
Aber es entspricht leider nicht der Realität. Mein Mutter ist polnische Einwanderin und ist seit 1989 hier. Bis heute spricht sie nicht akzentfrei deutsch und auch sie berichtet davon, dass sie nie als deutsch wahrgenommen wird. Sie ist immer "die Polin" und wird manchmal auch schräg angeguckt. Das ist scheiße, aber so ist leider immer noch viel zu oft so.


Christian Lindner greift diese Situation auf und sagt man kann nicht erkennen, ob jemand ein "hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist, oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer" ist. Und auch wenn mir die Unterscheidung zwischen wertvoller, weil gut ausgebildete*r Ausländer*In und wertlose*r Ausländer*In zutiefst zuwider läuft, sagt Linder doch: Wer jemand ist, kann nicht an seiner Sprache oder seinem Aussehen erkannt werden. Lindner nimmt die Ängste der Menschen ernst und versucht eine Lösung zu finden. Und wir sprechen hier nicht von den "Ängsten" im braunen Sumpf, sondern von den Ängsten von Oppa Dirk von nebenan oder einem durchschnittlichen Konservativen.


 Du brauchst doch keine Angst zu haben

Und im Gegensatz zu Thomas de Maizière ist Lindners Lösung nicht Leitkultur, sondern der Rechtsstaat. Im Gegensatz zu de Maizière versucht Lindner nicht die Ängste durch das Ausschließen "der anderen" zu beseitigen, sondern mit der demokratischsten aller Gewissheiten: Dem Rechtsstaat. Ich kann mir in Deutschland sicher sein, dass Gesetze gelten und hier auch eingehalten werden. Egal, welche Hautfarbe ich habe oder welche Sprache ich spreche: In Deutschland hat jeder dieselben Rechte.
So sehr ich Lindners neoliberale Logik von wertvollen und nicht wertvollen Menschen verachte, so macht er hier meiner Meinung nach etwas richtig. Er nimmt die Ängste der Menschen ernst und versucht Lösungen und Sicherheiten zu bieten, statt einfach zu sagen: "Du brauchst doch keine Angst zu haben". Zu einer ehrlichen Diskussion gehört es eben auch dazu, diese Ängste ernst zu nehmen, seien sie noch so irrational. Denn wenn wir es nicht tun, instrumentalisieren eben die AfD, die Identitären oder andere Rechte die Angst. Nicht jeder, der Angst hat oder sich unwohl fühlt ist ein Rassist oder Nazi, aber er*sie kann zu einem werden, wenn er oder sie sich nur noch bei der AfD ernst genommen fühlt.

Ursprünge verstehen und Tipps geben

Eine befreundete Erzieherin und ich haben am Strand mal einen kleinen Jungen und seinen Papa beobachtet. Der Kleine hat wie am Spieß geschrien, weil er Angst vor Sand hatte. Der Vater wiederholte immer wieder: "Du brauchst doch keine Angst zu haben". Die befreundete Erzieherin hatte mir damals gesagt, dass das das schlimmste ist, was man in dieser Situation tun kann. Jede Angst, auch die Angst vor dem bösen Monster unter dem Bett muss respektiert werden und man sollte dem Kind Wege zeigen, mit der Angst umzugehen. Wenn ein Kind Angst vor Blitz und Donner hat, erklärt man dem Kind am besten den Grund für den Krach oben am Himmel und wenn es Sand ist, dann sucht man einen Weg damit umzugehen.

Und auch wenn die Bevölkerung keine Kinder sind, so gilt das auch bis ins Erwachsenenalter. Wenn ich völlig irrational Angst vor Spinnen habe, hilft es mir nicht, wenn jemand mir sagt, dass ich doch keine Angst zu haben brauche, sondern jemand der mit mir Wege sucht, mit dieser Angst umzugehen.

In allen Kommentaren, einschließlich dem von Stefan Kuzmany wird aber genau das verlangt: Sagt den Leuten sie brauchen keine Angst zu haben vor Menschen mit anderer Hautfarbe oder gebrochenem Deutsch. Und ihr alle habt ja recht, das brauchen sie auch nicht. Aber ihnen das nur zu sagen, wird ihnen nicht helfen. Um ihnen diese Angst zu nehmen brauchen wir eine ehrliche Diskussion, bei der auch irrationale Ängste benannt werden dürfen, ohne verurteilt zu werden.

Besonders stolz dürfen übrigens die Journalist*Innen sein, die sich von Alice Weidel instrumentalisieren haben lassen und zitieren, wie die FDP sich gern mit der AfD abstimmen kann bei Migrationsfragen. Alice Weidel hat nämlich erkannt, dass AfD-Wähler*Innen die sind, die sich nicht ernst genommen fühlen und sie gewinnt, wenn die anderen sich prügeln. Deswegen versucht sie internettrollmässig nochmal Öl ins Feuer zu kippen und unsere liberale Gesellschaft weiter zu spalten. Ganz "House of Cards"- mässig schaut sie jetzt zu, wie sich unsere liberale Gesellschaft selbst zerfleischt und schlürft dabei Chardonnay.

Kommentare

  1. Ich mag deine Einschätzung sehr gerne. Ich freue mich vorallem zu sehen, dass du hier einen geschliffen scharfen Schreibstil hast.

    Häufig Frage ich mich, ob diese ganzen Bewertungsdebatten überhaupt noch zielführend sind. Ich finde natürlich gut, dass du die laufende Debatte einschätzt und einen Standpunkt anbietest. Wenn ich mir dann aber die Schlachten anschaue, die die Politiker*innen da im Netz schlagen, dann frage ich mich halt einfach nur, wo den deren Anti-Rassistische Arbeit im Alltag ist? Warum müssen die sich überhaupt in so unsachliche Gefilde begeben? Warum kann ich in einem Soziologie-Buch nachlesen, wie das weltweite Vorurteil gegen den persischen Raum funktioniert, aber die hochstudierten Volksvertreter wissen das nicht?

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