Tagebuch: Ich kann nicht schreiben

Wenn ich jetzt gerade einen Schadensbericht abgeben müsste, würde ich sagen, dass es nicht an den fehlenden Inhalten liegt und auch nicht daran, dass ich es mir technisch nicht zutraue. Grammatik, Ausdruck und Zusammenhänge bekomme ich so hin, dass ich damit zufrieden sein kann. Zugegeben, kurze Sätze fallen mir manchmal schwer. Und meine Sätze nicht zu relativieren, also durch ein "vielleicht", "möglicherweise", "manchmal". Aber das ist Kleinkram, der sich stilistisch in abschließenden Arbeitsschritten wegschleifen lässt. Achja, bei meiner ursprünglichen Aussage bleibe ich auch nicht immer direkt. Könnte so ein Bloggerding sein. Weshalb wir keine Journalisten sind. Also, in meinem Fehlerprotokoll stünde drin, dass mein Schreibprozess nicht gut ist.

So wenig gut, dass ich kaum mehr etwas produziert bekomme. Klar, hier und da kommt mal was zustande, aber mich aktiv und mit Freude hinsetzen und schreiben, das klappt nicht. Egal ob zwanglos (Blog, Slam) oder auf Zwang (Schule) ich bekomme es nicht besonders gut hin. Eine Praktikumsmappe, die ich gerade zurück bekommen habe, war gekürt mit einer berechtigen "Mangelhaft (Plus)" - was sich für mich immer liest, als wäre es eine qualitativ besonders hochwertige Fünf. Die Premium Fünf. Mit Goldkante. Aber halt auch vollkommen berechtigt. Die fachliche Ausarbeitung war nicht gegeben.

Kurzer Hinweis: Eine Praktikumsmappe in der Erzieherausbildung ist leider keine dieser romantischen kleinen Tagebuchsammlungen wie damals in der Schule, wo jeder Tag und die Aufgaben beschrieben werden, sondern eine anspruchsvolle Facharbeit mit mehreren Aufgaben, die auf einem wissenschaftlichen Niveau zu bearbeiten sind. Da geht es um Entwicklungspsychologie, pädagogische Begründungen, den Nachweis methodischer Kenntnisse und hoher Reflexionsfertigkeit.

Sitze ich in der Schule, sind all diese inhaltlichen Dinge da. Unterricht, Klausur, bekomme ich immer mit gutem Feedback und zufriedenstellende(re)n Noten zurück. Was mir verdeutlicht hat, dass es wohl an meinem Schreibprozess liegen muss. Prozess ist hier auch schon eine ziemliche Übertreibung, befürchte ich. Aber bevor ich jetzt in das Gebashe gegen mich selbst stürze, versuche ich es lieber mit neutraler Beobachtung (auch so ein Erzieherding), auch wenn diese ohne Blickwinkel von Außen nur schwer möglich ist. Spoilerwarnung: Die dürft ihr dann nachher geben.

Wenn ich schreibe sitze ich an meinem Schreibtisch. Das Fenster geht zur Straße heraus und ist leider in der Höhe, dass alle Passanten durch mein Arbeitszimmer laufen. Wenn mich das zu sehr stört, lasse ich die Rolläden runter. Am Schreibtisch habe ich immer Papier für spontane Notizen parat und den gesamten Bereich vor der Tastatur freigeräumt, falls ich mal Bücher etc. vor mir auslegen muss. Oberhalb des Arbeitsplatzes ist eine Schreibtischlampe, die den gesamten Bereich sehr gut ausleuchtet.
Wenn ich beginne zu schreiben, fange ich an mit mir selbst zu sprechen (ich wohne alleine, niemand stört sich daran), stehe immer mal wieder vom Arbeitsplatz auf und gehe durch meine Wohnung. Wenn ich am Rechner sitze und schreibe, schaffe ich häufig nur kleine Abschnitte, die ich dann laut lese, um sie zu reviewen. Recherchequellen habe ich in Tabs meines Browsers geöffnet oder offen vor mir liegen.
Lange Sequenzen schaffe ich kaum. Um den Faktor der Zeitverschwendung oder Ablenkung mit anderem auszuschalten, erledige ich meist meinen Haushalt zuvor. Die wirklichen dringenden Haushaltssachen sind hier sowieso immer in der Spur. Ja, ich bin auch immer überrascht.

Woran ich mich probiere seit einiger Zeit, ist "Co-Worken". Eine Methode bei der mensch sich mit anderen Menschen trifft, um Kram erledigt zu bekommen. In der vollmethodischen Version, trifft mensch sich dabei jede volle Stunde und gleicht die Ergebnisse ab, die bisher erreicht wurden und setzt Ziele für die nächste Stunde. In der reduzierten Variante sitzen andere Leute mit in der Hütte (egal ob eigene oder öffentlicher Ort) und kümmern sich um ihren Kram. Das klappt für mich ganz okay, ist aber nicht immer möglich. Vor allem, da viele in meinem Umfeld besser alleine arbeiten können, als Co-Worken.

Es muss ja aber auch alleine gehen, oder? Es muss doch möglich sein, sich an seinen Schreibtisch zu setzen, strukturiert und/oder begeistert an die Sache zu gehen. Ich sehe den ganzen Tag wie die krassen Leute in meinem Umfeld ihre großartigen Inhalte produzieren und veröffentlichen, schaffe es aber selbst nicht, etwas zu produzieren. Liegt es daran, dass ich eine Wolke von Inhalten sehe, die gar nicht von Einzelpersonen kommt? Vielleicht.
Liegt es an mangelndem Selbstbewusstsein? Garantiert.

Aber es muss doch auch strukturelle Möglichkeiten geben, den Schreibprozess zu lenken und zu optimieren, oder? Was kann ich machen?

Meine aktuelle Idee beinhaltet, mir einen Wecker von einer Stunde zu stellen und in dieser wirklich nur an einer Sache zu arbeiten. Andere Dinge, die mir einfallen, schreibe ich auf einen Notizzettel für später. Klingelt der Wecker, mache ich eine Pause, in der ich irgendetwas anderes tue, den Computer verlasse. Einen kleinen Spaziergang um den Block, ein Sandwich, genau eine Partie Fifa. Dann geht es zurück an den Rechner.

Trotzdem meine Frage: Wie machen andere das? Wie und wo schaffen andere es, ihre Texte und Inhalte zu produzieren?

Kommentare

  1. Hey hey. Bin zwar noch nicht lange im Slam-Zirkus dabei, habe aber gemerkt das mir die interessantesten Ideen an den absurdesten Orten kommen und das man Inspiration nicht erzwingen kann. Meine Erfahrung ist: wenn ich schreibe weil ich schreiben "muss" wird es meistens Käse. Mir persönlich hilft es wenn ich meine Komfort-Zone verlasse und mich neuen oder auch unangenehmen Situationen aussetze.

    Viel Erfolg noch
    MfG
    Der K.O.

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    1. Dieser Techniken bin ich mich auch bewußt, aber es mangelt nicht an den Ideen, sondern am Schreibprozess. Die Ideen stapeln sich hier sogar. Ich könnte welche an andere Autoren abgegeben. :D

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  2. Ich weiß ja nicht, ob dir das weiterhilft. Vielleicht hast du ein ganz anderes Problem. Schon damals bei meinen Hausarbeiten war es immer so, dass ich erstmal alles ausgestellt habe, mich im Zweifelsfall an einen anderen Ort begeben habe (Uni-Bibliothek-Cafeteria/Stadtbücherei/Park/Straßencafe) und die ersten Abschnitte auf Papier geschrieben habe. Erst so bin ich richtig in das Thema hinein gekommen. Bei mir ging es aber auch immer vorrangig ums überhaupt anfangen- oder aus einer Sackgasse herauskommen. Im Zweifelsfall habe ich Seminararbeiten einfach nicht abgegeben und habe ein Semester später das Seminar oder Modul von vorne angefangen (ziemlich krasse Neurose eigentlich). Wenn du es aber schon einmal schaffst die Arbeiten/Berichte rechtzeitig einzureichen, liegt das Problem bei dir wahrscheinlich woanders.

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    1. Ich bin dir aber sehr dankbar für den Ansatz. Ist den Versuch ganz sicher wert!

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  3. Starker, ehrlicher Beitrag.

    Ich tu mal meinen Senf dazu. Ich musste gerade im Unibereich immer viel schreiben. Viele Protokolle und eine Bachelorarbeit. Viel wissenschaftlichen Kram also mit Recherche und schreiben dann. Du arbeitest ja schon ganz schön strukturiert. Das ist gut, vielleicht aber auch n bisschen zu sehr. Wenn man alles immer in so Rahmen und Slots steckt, verliert man vielleicht auch ein wenig den Spaß am Schreiben. Irgendwie scheint bei dir der Flow nicht so recht aufzukommen. Ich lese da gerade ein sehr interessantes Buch zu.
    Was mir hilft ist
    a.) Konditionierung und b.) Vorarbeit

    a.) Immer wenn ich mich lange am Stück konzentrieren will mache ich mir einen Kaffee, mache mir bewusst, dass jetzt eine Arbeitsphase beginnt und stelle eine spezielle Playlist an. Ich hab bei Spotify eine "Exam Study Classical Music Orchestra – Exam Study Classical Music to Increase Brain Power, Classical Study Music for Relaxation, Concentration and Focus on Learning - Classical Music and Classical Songs" Playlist gefunden. Mein Gehirn weiß, langsam was diese Playlist bedeutet. Das hilft mir tierisch.

    b.) Immer wenn ich schreibe und gleichzeitig recherchiere (was immernoch oft vorkommt) habe ich das Gefühl nicht richtig voran zu kommen. Ich kann viel besser schreiben wenn ich meine Recherche vorher erledige. Ich stelle Informationen zusammen, drucke wichtige Publikationen aus, markiere Stellen und fasse Sachen vorher auf Papier zusammen. Wenn ich das Gefühl habe genug Informationen für einen Abschnitt gesammelt zu haben, beginne ich erst mit dem Schreiben. Dann kommt der Flow viel schneller. Weil man eine Tätigkeit durchgehend ausführt. Dieses gleichzeitige recherchieren und Schreiben ist für das Gehirn super anstrengend.

    Für das kreative Schreiben bist du der Fachmann. Da haben mir oft genug deine Tipps geholfen. Wende doch einfach mal deine Schreibmethoden bei dir selbst an.
    Aber auch hier habe ich gemerkt, es ist viel schwieriger etwas zu Ende zu bringen, wenn man am Anfang noch nicht weiß wo man hin will. Vllt macht es Sinn vorher ein Expose, sozusagen eine Dramaturgie aufzuschreiben und dann erst den richtigen Beitrag zu schreiben? Aber da hadere ich selbst auch mit mir. Ich habe oft eine einzelne Idee, die nicht reicht um etwas Ganzes zu machen. Gleichzeitig bin ich aber so begeistert und entzündet, dass ich sofort anfangen will und den Spirit nutzen will. Also keine Ahnung ob das so funktioniert.

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    1. Das strukturierte probiere ich jetzt gerade erst neu aus, mit gemischten Ergebnissen. Die Wichtigkeit von Ritualen wird mir aber auch so langsam bewusst, nicht nur in diesem Bereich. Möglicherweise gibt es auch einige negative Rituale, die mich bremsen, die ich auch aufdecken und loswerden muss.

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  4. Hallo Jay, tja, wie könnte ich dir helfen? Schriftlich ist das schwierig, mündlich wäre besser. Doch leider liegt Braunschweig nicht um die Ecke, dass wir uns mal über dein Problem unterhalten könnten. Ich mag dir aus der Ferne auch keine Ratschläge aus meiner eigenen Erfahrungskiste geben. Also versuche ich - bei aller Problematik - mal ein paar Gedanken vor dem Hintergrund meiner lange zurückliegenden Uni-Tätigkeit zu äußern. Ich tue dies in aller Vorsicht in der Form von Fragen:
    + Ist dir vielleicht bei dem, was du da in deiner Ausbildung abliefern sollst, deine Kreativität im Wege? [Über weite Strecken kommt es da ja aufs Lernen und aufs Reproduzieren an, kaum aufs Neu-Erfinden, leider!]
    + Liegt das Problem vielleicht darin, dass du den Transfer des Gelernten auf neue Zusammenh#nge nicht hinkriegst? [Warum klappt das, wie ich deinen Worten entnehme, bei Klausuren, nicht aber bei der Bearbeitung einer (doch viel einfacheren Aufgabe wie 'ner) Praktikumsmappe?
    + Verbaust du dir vielleicht mit dem Begriff "Schreibprozess" nicht schon selbst den Weg? [s. oben Kreativität vs. Transferleistung]
    + Mutest du dir vielleicht bei dem, was du vorhast bzw. erledigen musst, nicht zu viel zu, indem du die Dinge auf ein(!)mal bearbeiten willst, anstatt sie in einzelne Arbeitsschritte aufzuteilen und - mit Pausen dazwischen - nacheinander zu "wuppen", dann aber stringend von A nach B und nach C fortzuschreiten?
    Ich bin schon wieder dabei, Ratschläge zu erteilen ... Das ist nicht gut, zumal ich in meiner derzeitigen Slammer-Laufbahn auch ungern den alten Uni-Dozenten wieder rauskrame. Aber ich möchte dir halt gerne ein bisschen bei deinem Problem helfen ... Dass auch meine Schreibblockaden habe - darüber zu reden, würde dir noch weniger helfen ... Ich hoffe, dass dir meine "Anregungen" trotzdem ein klein wenig gebrcht haben ...

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    1. Zur ersten Frage:
      Möglicherweise. Eine gute Frage. Es kann wirklich sein, dass es mir schwer fällt nah an den Vorgaben zu arbeiten.

      Deine Ratschläge empfinde ich als dankbar, immerhin habe ich sie mit dem Beitrag auch eingefordert. ;)

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